Zusammenarbeit im Kinderschutz

Kinder haben ein Recht darauf, vor Vernachlässigung und Misshandlung geschützt zu werden. Pflege, Erziehung und Schutz der Kinder sind vorrangig Aufgaben der Eltern. Wenn Eltern dieser Erziehungsverantwortung aber nicht nachkommen können oder wollen, ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln oder sie nicht ausreichend vor Gefahren durch Dritte schützen, muss der Staat eingreifen und die zur Abwendung der Gefährdung erforderlichen Maßnahmen ergreifen.

Der Schutz der Kinder obliegt vielen staatlichen Stellen, insbesondere der Kinder- und Jugendhilfe, der Justiz, der Polizei, den Schulen und den Gesundheitsbehörden. Die Aufgaben, Kompetenzen, Handlungsmöglichkeiten und Herangehensweisen dieser Institutionen unterscheiden sich deutlich voneinander. Das Ziel aller Institutionen aber ist das Gleiche: Eine optimale Förderung und ein größtmöglicher Schutz der Kinder. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn alle beteiligten Berufsgruppen an einem Strang ziehen. Eine wesentliche Voraussetzung für einen effektiven Kinderschutz ist es deshalb, dass die beteiligten Institutionen vor Ort Hand in Hand zusammenarbeiten und ihre jeweiligen Aufgaben im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft wahrnehmen. Die im Kinderschutz tätigen Akteurinnen und Akteure im Land Baden-Württemberg sind sich daher darüber einig, dass es notwendig und förderlich ist, die Aufgaben, Möglichkeiten und Arbeitsweisen der jeweils anderen Institutionen sowohl zu kennen als auch anzuerkennen und auf regionaler Ebene Strukturen für die Zusammenarbeit mit anderen Stellen zu entwickeln.

Das Justizministerium unterstützt daher die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Kinderschutz seit vielen Jahren sowohl auf regionaler als auch auf überregionaler Ebene nachdrücklich.

Schon im Jahr 2008 hat das Justizministerium initial eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit in Fragen des Kinderschutzes einberufen. An der Arbeitsgruppe waren neben dem Justizministerium das Innenministerium, das Sozialministerium und der Kommunalverband für Jugend und Soziales (Landesjugendamt) beteiligt.

Die Arbeitsgruppe hat Empfehlungen für die Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen in Fragen des Kinderschutzes erarbeitet, die seither zu einer weiteren Intensivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit im Kinderschutz auf regionaler Ebene beitragen. Die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit ist allerdings von den regionalen Gegebenheiten abhängig und obliegt den Berufsträgerinnen und -trägern vor Ort in eigener Zuständigkeit, wobei die Familienrichterinnen und –richter die gerichtlichen Kinderschutzverfahren in richterlicher Unabhängigkeit gestalten Die Empfehlungen stellen deshalb keine verbindlichen Vorgaben für die Zusammenarbeit dar, sondern sind vielmehr als Anregungen zu verstehen, wie die beteiligten Berufsträgerinnen und -träger vor Ort ihre Zusammenarbeit noch effektiver gestalten können.

Die Empfehlungen können Sie hier abrufen

Empfehlungen für die Zusammenarbeit in Fragen des Kinderschutzes (PDF, 228 KB)

Bereits seit dem Jahr 2009 richtet das Justizministerium gemeinsam mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales und dem Sozialministerium jährlich einen interdisziplinären Fachtag Kinderschutz in Herrenberg-Gültstein zu aktuellen Fragen des Kinderschutzes aus.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Fachtages, der sich längst als feste Institution im Veranstaltungskalender der im Kinderschutz tätigen Akteurinnen und Akteure etabliert hat, schätzen besonders die Möglichkeit, sich über aktuelle Fragestellungen und auftretende Probleme in der Zusammenarbeit über die Grenzen der eigenen Profession hinweg austauschen zu können. Der nächste Fachtag Kinderschutz wird am 8. Juli 2021 angesichts der pandemiebedingten Beschränkungen in einem Online-Format stattfinden.

Vor dem Hintergrund des „Staufener Missbrauchsfalls“ hat das Justizministerium ferner erhoben, inwieweit in den Landgerichtsbezirken in den seit vielen Jahren im Familienrecht bestehenden interdisziplinären Arbeitskreisen (den sog. runden Tischen) bereits ein Austausch auch auf dem Gebiet des Kinderschutzes stattfindet. In der Folge wurden unter Federführung des Justizministeriums in Kooperation mit dem Ministerium für Soziales und Integration „Best-Practice-Veranstaltungen Kinderschutzverfahren“ durchgeführt, mit dem Ziel, für die zahlreichen bereits auf lokaler Ebene stattfindenden Arbeitskreise ein Qualitätsmanagement zu installieren und die Arbeitskreise in diesem Rahmen zu vernetzen. Die Veranstaltungen wurden im April 2019 nacheinander an zwei Orten abgehalten. Der Teilnehmerkreis setzte sich aus Familienrichterinnen und -richtern sowie Fachkräften der Jugendämter zusammen. Von beiden Gruppen wurden gemeinsame Empfehlungen für eine Best Practice im Bereich des interdisziplinären Austauschs zum Kinderschutz erarbeitet.

Unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung der Corona-Pandemie wird gegenwärtig an einer Fortsetzung der Best-Practice-Veranstaltungen gearbeitet. Sie ist für das Jahr 2021 wieder vorgesehen.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat angesichts des sogenannten „Staufener Missbrauchsfalls“ überdies die Frage gestellt, ob und gegebenenfalls wie die bestehenden Verfahren des Kinderschutzes verbessert werden können, um Kindern und Jugendlichen größtmöglichen Schutz zu bieten. Zu diesem Zweck hat sie eine Kommission Kinderschutz eingesetzt, um die Verfahren des Kinderschutzes auf allen Ebenen zu analysieren und mögliche Handlungsbedarfe herauszuarbeiten.

Die Kommission Kinderschutz hat über 100 Einzelempfehlungen zur Verbesserung und Weiterentwicklung des Kinderschutzes erarbeitet und in einem am 17. Februar 2020 vorgestellten Abschlussbericht zusammengestellt.

Den Abschlussbericht der Kommission Kinderschutz können Sie hier abrufen:

https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-sm/intern/downloads/Publikationen/Abschlussbericht_Kommission-Kinderschutz_Band-I.pdf

Die Umsetzung der den Justizbereich betreffenden Empfehlungen ist mittlerweile weitestgehend abgeschlossen. So liegt der von Baden-Württemberg erfolgreich in den Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht (BR-Drs. 360/20) mittlerweile dem Bundestag vor. Dieser sieht unter anderem eine Verbesserung von Kooperation und Austausch zwischen Jugendamt und Familiengericht vor. Zudem hat das Land Baden-Württemberg in der Überzeugung, dass eine vertiefte Forschung gerade auch zu den Abläufen in familiengerichtlichen Verfahren unbedingt gewinnbringend ist, um die bestehenden Strukturen auf den Prüfstand zu stellen und Verbesserungen sowie einen größtmöglichen Schutz von Kindern und Jugendlichen herbeizuführen, eine Entschließung zur wissenschaftlichen Evaluierung von Kinderschutzverfahren in den Bundesrat eingebracht (BR-Drs. 361/20), die mit großer Mehrheit vom Bundesrat beschlossen wurde und nunmehr ebenfalls dem Bundestag vorliegt.

Jedoch kann das Erreichte nach Auffassung der Landesregierung von Baden-Württemberg wie auch nach dem professionellen Selbstverständnis der zum Schutz der Kinder berufenen Akteurinnen und Akteure nie ein Schlusspunkt sein. Vielmehr gilt es, die bestehenden Instrumentarien des Kinderschutzes fortwährend weiter zu entwickeln. Der Fokus des Justizministeriums wird dabei auch in Zukunft auf der Verbesserung der Qualifikation insbesondere der Familienrichterinnen und –richter, der punktgenauen Nachschärfung des rechtlichen Rahmens und der weiteren Förderung des interdisziplinären Lernens und Handelns unter Nutzung der mit der Digitalisierung einhergehenden neuen technischen Möglichkeiten liegen. Nur ein gegenwärtiges Beispiel hierfür ist die vom Justizministerium beauftragte Entwicklung eines webbasierten, interdisziplinären E-Learning-Fortbildungsprogramms „Basiswissen Kinderschutz“ in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten des Uniklinikums Ulm. Dieses Programm wird voraussichtlich bereits im Mai 2021 den Betrieb aufnehmen. In Online-Modulen werden Wissen und Kompetenzen an die verschiedenen Professionen vermittelt werden, um ein fächerübergreifendes Verständnis zu schaffen und somit die Vernetzung sowie die Zusammenarbeit im Kinderschutz zu verbessern und zu stärken. Zielgruppen sind dabei insbesondere Fachkräfte aus der Justiz, aus der Jugendhilfe und der Medizin. Des Weiteren sollen aber auch Angehörige der Polizei und der Bewährungshilfe sowie alle anderen Fachkräfte, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten mit Fällen von Kindesmisshandlungen in Berührung kommen, adressiert werden.

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